Der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums rückt den Zustand der Bundeswehr erneut in den Fokus: Kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges hatte Olaf Scholz mit seinem „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr eine „Zeitenwende“ ausgerufen, die auch zur Modernisierung der seit Jahrzehnten zugleich kaputtgesparten und mit immer mehr Aufgaben überlasteten Streitkräfte gedacht war. Fast ein Jahr später ist davon jedoch nichts zu bemerken. Der Zustand der Bundeswehr ist nach wie vor desolat.
Dass in Deutschlands Streitkräften nichts mehr fliegt, rollt, schwimmt, taucht oder schießt, kann man ausnahmsweise – und das trotz ihrer geradezu slapstickartigen Amtsführung – nicht der am Montag zurückgetretenen Verteidigungsministerium Christine Lambrecht in die Schuhe schieben. Die Ursachen liegen sehr viel tiefer und werden auch ihren Nachfolger Boris Pistorius an seine Grenzen führen, der zumindest den mittlerweile ungewohnten Vorteil hat, selbst Soldat gewesen zu sein.
„Wahre Herkules-Aufgabe“
Was Pistorius allerdings an Problemen und internen Krisen ins Haus steht, skizzierte jetzt der Militärexperte Joachim Weber vom CASSIS-Strategiezentrum der Universität Bonn in einem Interview. Den nächsten Verteidigungsminister bezeichnet Weber prophetisch als „wenig beneidenswerten Menschen“, den „eine wahre Herkules-Aufgabe“ erwarte, für die man „eine ganz besondere Persönlichkeit“ brauche.
Die deutschen Streitkräfte seien „nicht wirklich einsatzfähig“, die Strukturen könnten „leider nur als dysfunktional“ bezeichnet werden. Dies gelte auch für das Verteidigungsministerium. Man brauche eigentlich, so Weber, „jemanden wie Helmut Schmidt, mit umfassender Sachkompetenz, dem Willen, energisch zu handeln, und der Fähigkeit, wirklich zu führen“. Allerdings sieht er „im Kreis der Koalitionäre“ niemanden, der dieser Aufgabe gewachsen wäre. Die Bundeswehr selbst sei nicht für ihren desolaten Zustand verantwortlich, angesichts dessen sich Weber wundert, „wieviel Zehntausende Frauen und Männer in dieser Bundeswehr noch immer treu und engagiert ihren Dienst absolvieren, obwohl sie von oben im Stich gelassen werden“.
Erheblicher Mittelbedarf
Die Dinge müssten „oben neu sortiert“ und die Bundeswehr dann „in funktionalen Strukturen geführt werden“. Dafür brauche es die erforderlichen Mittel. Die Bundeswehr sei „definitiv nicht verteidigungsbereit“, was die Verantwortlichen auch selbst sagen würden. Im Kriegsfall wäre, so Weber, wahrscheinlich keine Einzige der acht Brigaden wirklich einsatzfähig. Eine kluge Politik müsste dafür sorgen, „dass niemand auch nur daran denkt, uns anzugreifen“.
Von der dafür erforderlichen schlagkräftigen und modernen Bundeswehr sei man derzeit jedoch „meilenweit“ entfernt. Sicherheitspolitik sei in Deutschland „zu einer Art Schmuddel-Thema“ gemacht worden. Nun merke man, dass es brennt, aber die Versicherung fehle. Wer solle nun löschen, da die Feuerwehr „vollkommen heruntergewirtschaftet“ sei? Weber plädiert auch für eine Rückkehr zur Wehrpflicht, „im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht“, da die Stärkung der Bundeswehr mit den vorhandenen Bewerberzahlen nicht erreicht werden könne.
Zu sklerotisch und träge
Auf Nachfrage sieht Weber sich außerstande, auch nur einen Bereich bei der Bundeswehr zu benennen, bei dem es gut laufe. Es fehle überall entweder „an Qualität der Ausstattung oder an Quantität der Kräfte, meistens an beidem gleichzeitig“.
Es ist nicht anzunehmen, dass sich daran unter einem – wenn auch etwas weniger inkompetenten – neuen Verteidigungsminister etwas ändern werde. Dazu ist der deutsche Parteienstaat zu sklerotisch und träge. Er kreist nur um sich selbst und die Machtbedürfnisse seiner Protagonisten. Selbst dringlichste Notsituationen können allenfalls noch vorübergehendes Handeln erzeugen, bevor alles wieder in den gewohnten Trott zurückfällt. Auch Pistorius wird aller Wahrscheinlichkeit nach nur einige kosmetische Änderungen vornehmen können, um sie medial zu verkaufen. Am ruinösen Zustand der Streitkräfte wird sich nichts ändern. Dazu fehlt sowohl der politischen Wille als auch die politische Kraft.